Methods of this session Einführungsreferat, Workshop
Duration of this Session 1 Halbtag
Materials for this Session Bildmaterial: Visuelle Erzeugnisse aus Printmedien, aktuelle Werbespots Präsentationsmedien: Computer, Beamer, Polaroidkameras, Video­recorder, Hellraumprojektor
See Volume One S. 58 – 73
See Volume two S. 62 – 72 S. 90 – 95
See action CD BIBLIOTHEK Bildvergleich Bilderpool
See Video CD THEMENAUSSCHNITTE Die Welt ins Bild bringen, Christian Doelker KUNST-SPRACHE-FILM U-Man, Julien Dajez, 1998
Anna Rüegg
Die Macht der Bilder durchschauen
Bildcodierungen und Rezeptionsverhalten

Inhalt

Tagtäglich werden wir mit Bildern überflutet. Ihre Einwirkungen sind ebenso mächtig wie undurchschaubar. Werden wir heimlich verführt und manipuliert? Wie könnten wir die Macht der Bilder entlarven und mit Bildern sachkundig umgehen? Bilder sind un-durchschaubar, weil sie wie Geheimschriften codiert sind. Ob Schrift- oder Bildzeichen, beide brauchen zum Decodieren einen speziellen Schlüssel. Die Codeknacker für visuelle Erzeugnisse erwirbt man sich in der geistigen Werkstatt für visuelle Kompetenz.

Fünf Bildcodes reichen aus, um alle visuellen Verschlüsselungen zu öffnen. Sie sind nach der Entstehung der Menschheit aufgebaut. Es gibt zwei vorkulturelle, der Evolution zugeordnete, und drei kulturelle, der Entwicklung zugeordnete Bildcodes.

Bildcodierung

Bild 1 – Biologischer Code
Lebensbedrohung, Lebenserhaltung und Sexualität
Mit stockendem Atem verfolgen tausend Augen die fliegenden Messer, die gefährlich dicht neben nackten Beinen in die leuchtend roten Flächen eindringen, gleichzeitig potenzieren High-Heel-Sandalen den Imperativ der Selbsterhaltung. In Sekundenbruchteilen reagiert der Konsument auf die phylogenetischen Signale des Werbemotivs mit reflexartiger Zuwendung und Erregung.

Im biologischen Code steckt ein ungeahntes Macht- und Manipulationspotenzial, da alle Rezipierenden intuitiv nach dem von der Natur vorprogrammierten, genetischen Verhaltens­mus­ter funktionieren. Erst nach der vorgedanklichen Reaktion kann durch Wissen, Denken und Sprache das Geschehene durchschaut werden.

Bild 2 – Archaischer Code
Mimik und Gestik
Ohne ein einziges Wort! Nur mit Mimik und Gestik beherrschte der Schiedsrichter Pierluigi Collina den internationalen Verständigungsprozess am heißen WM-Finale 2002. Intuitiv vertraut er auf die natürlichen Fähigkeiten der Menschen, non verbale Stimuli hochselektiv zu verarbeiten. Die Signale der Körpersprache lösen beim Empfänger blitzartig Emotionen aus, die im Unbewussten einen Urteilsprozess in Gang setzen. Dieser ist innert einer Viertelsekunde abgeschlossen.

Erst danach kann die visuelle Eindrucksbildung durch Wissen,
Denken und Sprache analysiert, bestätigt oder korrigiert werden. Der archaische Code verfügt über ein unermessliches Macht- und Verführungspotenzial, da er auf spontane Emotionen und vorgedankliche Reaktionen der Rezipierenden ausgerichtet ist.

Bild 3 – Konventionaler Code
Zeichen
Spätestens bei den Vorbereitungen für die Fahrprüfung merken
wir, dass uns das Erfassen von Straßenverkehrszeichen nicht angeboren ist, sondern dass jedes einzelne seine feste Bedeutung hat, die gelernt werden muss. Wir erkennen in der obersten
Bildreihe wohl das dreieckige Gefahren- und das rechteckige Richtzeichen, doch welche Anordnung muss befolgt werden, wenn in einer Vorschriftstafel Satzzeichen über dem ausgestreckten Arm eines stehenden Mannes schweben? Um die hermetische Botschaft der Striche und Figuren der zweiten Reihe zu entschlüsseln, müssten Sie einen ausgewiesenen Gauner fragen! International ohne Schwierigkeiten dürfte die Orientierung nach den unmittelbar verständlichen Piktogrammen sein. Aber wie können wir Allegorien verstehen? Welche Bedeutung hat eine junge Frau mit den Attributen Bienenkorb und Olivenzweig? Was verkörpert die sitzende Königin mit Tempel, Szepter und Schimmel? Welche Personifizierung hat Flügel am Kopf, hält einen Spiegel in der rechten und eine Kugel mit aufgestecktem Dreieck in der linken Hand? Die Bedeutung aller konventional codierten Zeichen ist nach gesellschaftlichen Vereinbarungen schriftlich definiert, so dass jedes Zeichen eindeutig bestimmt werden kann. Das Rezeptionsverhalten ist verstehen, sich orientieren und erkennen durch Rekurrieren auf Gelerntes.

Bild 4 – Kategorialer Code
Symbole
Mit Augen wie Seelenfenster schaut die geflügelte Melancholie düster und nachdenklich in verborgene Fernen. Der tiefgründige Symbolgehalt des Bildes wird beim verweilenden Betrachten intuitiv erfasst. Führen dann die Erforschungen solch bildlicher Zeichen ins Labyrinth der mehrdeutigen Vorstellungen, die möglicherweise sogar jenseits des Zugriffs des Verstandes liegen, so ist das Zeichen nicht konventionalisiert, sondern, mit seiner latenten Bedeutung, ein Symbol. Der hohen Komplexität der Symbole wegen, sollte ihr bewusstes Interpretieren Professionellen vom Fach überlassen werden.

Flexibler Code
Der flexible Code verfügt über ein so umfassendes Spektrum an Bedeutungsebenen, dass der Schlüssel zur Decodierung in diesem Rahmen nicht dargestellt werden kann.

Module

Übung 1
Bildcodes/Codeüberlagerungen
Codierungen und Codeüberlagerungen an ausgewählten Bildern
bestimmen und im Plenum vorstellen.
Durch Anwendung der Fachterminologie soll Sicherheit im Denkprozess zur Decodierung geschaffen und objektbezogen über Bilder gesprochen werden.

Übung 2
Bildcodes/Machtpotenzial
Bilder einer Tageszeitung analysieren, einzelne Codesanteile und ihr Rezeptionsverhalten auflisten. Welche Codierung prägt das einzelne Printmedium? Welches Rezeptionsverhalten lösen die meisten Bilder dieser Zeitung aus? Welches Zielpublikum spricht die Zeitschrift an? Diskussion im Plenum.
Die Bilderflut des Alltags ordnen und in Codekategorien einteilen. Unbewusstes Rezeptionsverhalten bewusst erkennen und verbal festhalten.

Übung 3
Bildcodes/Rezeptionsverhalten
Anhand ausgewählter Werbespots das Rezeptionsverhalten am
eigenen Körper erfahren. Die Macht der Bilder durchschauen.
Gegenmaßnahmen zur Bildmanipulation, durch Wissen, Denken und Sprache aufstellen.
Die verschiedenen Rezeptionsverhalten an bewegten Bildern sowie die Gegenmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit überprüfen.

Übung 4
Fotografische Codes/Inszenierungen
Bilder selber inszenieren. Die Inhalte müssen so prägnant code­bezogen sein, dass beim Betrachten der Bilder die erwartete Reaktionsweise eindeutig hervorgerufen wird.
Bildwahrnehmung und Urteilsvermögen schärfen.
Verantwortung übernehmen für den Umgang mit Zielgruppen.
Tabugrenzen kennen.

Variationen & Erweiterungen