Methods of this session Feldforschung und teilnehmende Beobachtung
Duration of this Session 1 Halbtag
Materials for this Session Film von Frode Stor°as und He Yuan Wang: Our Courtyard. Bai People of South China. 2006
See Volume One S. 36 – 39 S. 62 – 64 S. 86 – 95
See Video CD KUNST-SPRACHE-FILM Blue Hour 1–3, Pia Greschner, 2002
Frode Storås
Schauen, aber genau
Virtuelle Feldforschung

Inhalt

Feldforschung und teilnehmende Beobachtung sind Schlüsselmethoden der Anthropologie und der angewandten Sozialforschung. Am Ort sein, systematisch beobachten, was vor sich geht, Notizen machen und Verständnis aufbauen sind Mittel, um Wissen über Personen zu erwerben, über ihre Beziehungen, ihre Gesellschaft und Kultur. Solche Methoden dokumentieren Ereignisse und Verhaltensmuster, sie sind Vergleichsinstrumente zur Entdeckung von Ähnlichkeiten und Unterschieden und ermöglichen dadurch ein besseres Verständnis für kulturelle Vielfalt in der Welt.

Heute bedient sich die Feldforschung der Möglichkeiten von Bild- und Tonmaterial. Zuschauen und die Leute lachen hören vermag ein Gefühl zu erzeugen wie von einem Treffen zwischen den Zuschauern vor dem Bildschirm und den Menschen im Film. Untertitel überwinden die Sprachbarriere. In der folgenden Übung werden Sie ein Stück virtueller Feldforschung machen, indem Sie einen ethnografischen Film anschauen. Einige Fragen werden Sie anleiten, worauf Sie achten müssen. Im Laufe der Filmbetrachtung sollten Sie ein Verständnis für die Personen im Film aufbauen, zu ihrem Lebensstil, zu ihrer Kultur und Gesellschaft.

Wann immer wir wach sind, beobachten wir. Wir nehmen auch unbewusst wahr. Weil wir jedes Bild, das uns erreicht, interpretieren müssen, sehen wir nicht nur mit den Augen allein, wir müssen uns auch des Verstandes bedienen. Trotzdem nehmen wir nicht alles zur Kenntnis, was wir sehen. Die meiste Zeit verbringen wir damit, Unfälle zu vermeiden. In dieser Übung sollte Ihr Ziel sein, so viel wie möglich von dem zu bemerken, was Sie sehen und hören.

Sie werden einen Dokumentarfilm über Süd-West China anschauen, wo Sie ein Bai-Dorf besuchen. Für die meisten von Ihnen wird das eine exotische Erfahrung sein, weil der Alltag dieses Dorfes in vielem anders ist als das Leben in Ihrer Stadt. Diese Tatsache weckt Ihr Interesse und das Beobachten fällt Ihnen vielleicht deshalb leichter. Das Fremde wird Ihnen bei der Aufgabe helfen, die Lebensweise der Personen im Film zu beobachten, mit Ihrem eigenen Leben zu vergleichen und Unterschiede zu finden.

Die Personen, die Sie kennen lernen, sind Herr und Frau Yang, ihr Sohn und seine Frau, ihr Enkel und ihre Nachbarn. Vor der Chinesischen Revolution besaß die Familie Yang alle Häuser rund um den Hof herum; aber weil seine Familie eine Art Großgrundbesitzer war, wurde ihr Besitz beschlagnahmt und an arme Familien weiter verteilt. Yang selbst erhielt ein paar Räume in einer Ecke des Hofs. Im Film werden Sie etwas über diesen Hof erfahren, aber Sie sollten Ihre Aufmerksamkeit im Film darauf lenken, was Sie – nur durch die Beobachtung – über die Personen und ihre Beziehungen erfahren können, wie sie mit den Tieren leben, was sie arbeiten, welche Werkzeuge sie benutzen, und vieles mehr, womit diese Menschen umgeben sind. Danach sollten Sie versuchen, langsam zu verstehen, wie diese Menschen leben, wie sie miteinander umgehen und wie sie ihr Leben wirtschaftlich gestalten.

Die Beobachtungsmethode im Film
Der Film wurde in einer beobachtenden Art gedreht. Die Kamera­führung zeigt lange, ruhige Sequenzen, keine Schwenks, keine Schnitte. Die Filmgestaltung vermittelt dem Zuschauer klar, hinter der Kamera zu stehen, so dass er als Beobachter den Ereignissen folgen kann, als würde er selbst durch das Suchfenster sehen. Lange Szenen respektieren zeitliche und örtliche Gegebenheiten bei den Ereignissen, von anderen Kameras wurden keine Zusatzaufnahmen aus anderen Blickwinkeln ein­gefügt. Die Idee besteht darin, dass Ihnen als Zuschauer die Möglichkeit gegeben wird, dem Kameramann oder der Kamera­frau quasi über die Schultern zu schauen und Ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.

Die filmischen Werkzeuge, die in den meisten Dokumentarfilmen und speziell in TV-Produktionen benützt werden, schaffen Distanz zwischen den Zuschauern und den Menschen im Film.

Im Gegensatz dazu wünschen sich eher wissenschaftlich orien-tierte, ethnografische Filmschaffende mehr Authentizität im gesamten Filmproduktionsprozess. Die beobachtende Filmmethode bemüht sich, durch den Einsatz von natürlichem Licht und einer handgeführten Kamera nahe an den Ereignissen, fehlende Zusatzbilder von weiteren Kameras, die Abwesenheit von Filmmusik und Stimmkommentar, die Zuschauer als unbeeinflusste Betrachter näher an die Ereignisse heranzubringen. Durch das Fehlen eines Kommentators und weiterer Filmmanipulationen sollen Sie als Zuschauer ermuntert werden, sich eigene Gedanken zu machen.

Die Regeln des so genannten Dogma-Films, wie sie vom däni-schen Filmemacher Lars von Trier vor einigen Jahren formuliert wurden, zielten darauf ab, authentische und überzeugende Darstellungen zu schaffen. Viele Dogmaregeln entsprechen der Arbeitsweise der meisten ethnografischen Filmemacher und Dokumentarfilmer. TV-Produzenten und Filmemacher von Spiel-filmen benützen die beobachtende Methode des Filmens, um in ihren Filmen eine Illusion von Authentizität und Realismus herzustellen.

Ein Film setzt sich zusammen aus einzelnen Sequenzen, und damit Sie den Zusammenhang zwischen den Sequenzen erkennen können, müssen Sie als Zuschauer reflektieren, was Sie sehen. Die dazu nötige Mobilisierung von Wissen und Erfahrungen, die dem Betrachter hilft, eine Brücke zwischen den einzelnen Sequenzen zu schlagen, bezieht sich auf eine Reihe kultureller, historischer aber auch spezifisch persönlicher Erfahrungen. Lösen einzelne Personen, Aktionen, Ereignisse oder Beobachtungen im Film etwas in Ihnen aus? Erleben Sie Überraschungen, erkennen Sie Vorurteile, die Sie haben könnten?

Ein Schriftsteller kann unnötige Informationen von seinem Text fernhalten, ein Filmemacher jedoch nicht. Bilder tragen eine Menge unbeabsichtigter Informationen mit sich, die einen Betrachter von der Hauptaussage eines Filmes ablenken können. Hat Sie etwas in diesem Film abgelenkt? – Ein Film kann ein mehr oder weniger offener Text sein insofern, als er auf viele Arten interpretiert werden kann. Die beobachtende Methode des Filmens führt im Allgemeinen zu offeneren Texten. Und trotzdem ist das, was die Zuschauer sehen, ein vom Filmemacher beeinflusster Ausschnitt der Realität.

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